Die Rolle beratender Experten- und Expertinnengremien bei der “Normalisierung” der Xenotransplantation. Eine Analyse

Der Begriff Xenotransplantation bezeichnet die Transplantation von Zellen, Geweben und Organen über Speziesgrenzen hinweg (Council of Europe 2003). Die Xenotransplantation – insbesondere von Organen – erhielt in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren weltweit große Aufmerksamkeit von Politik, Verwaltu...

Ausführliche Beschreibung

Bibliographische Detailangaben
Link(s) zu Dokument(en):IHS Publikation
1. Verfasser: Griessler, Erich
Format: Book Contribution NonPeerReviewed info:eu-repo/semantics/bookPart
Sprache:Englisch
Veröffentlicht: mentis Verlag 2018
Beschreibung
Zusammenfassung:Der Begriff Xenotransplantation bezeichnet die Transplantation von Zellen, Geweben und Organen über Speziesgrenzen hinweg (Council of Europe 2003). Die Xenotransplantation – insbesondere von Organen – erhielt in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren weltweit große Aufmerksamkeit von Politik, Verwaltung und Medien. Dieses Interesse war von der Prognose angetrieben, die die breite Anwendung der Xenotransplantation unmittelbar bevorstehend und das damit verbundene Geschäftsvolumen als enorm einschätzten (Laing 1996). Eine Reihe von ForscherInnen kündigte an, dass Xenotransplantation in wenigen Jahren klinisch eingesetzt werden könne. Xenotransplantation wurde – neben künstlichen Organen und Stammzellforschung – als eine Möglichkeit gesehen, das in vielen Ländern bestehende Problem des Organmangels zu beheben. BefürworterInnen argumentierten, dass die Technik dazu beitragen könne, menschliches Leben zu retten. Dazu müssten jedoch noch viele wissenschaftliche Hürden überwunden werden (Beckmann et al. 2000). Ungewissheit und Bedenken um mögliche Infektionen von Tier auf Mensch, die Gefahr von Epidemien und Pandemien, und die fehlende Einlösung der von WissenschaftlerInnen gemachten Versprechen ließen den anfänglichen Enthusiasmus in Politik und Medien verstummen und machten einer nüchterneren Einschätzung der Realisierungschancen Platz. Xenotransplantation verschwand großteils vom öffentlichen und politischen Radar. Nichtsdestotrotz wurde und wird in vielen Ländern weiter geforscht und Xenotransplantation könnte das Zentrum einer Technikkontroverse werden, sobald erste klinische Studien beginnen. Die Diskussion um Xenotransplantation ist aber nicht auf die Frage des Infektionsrisikos beschränkt. Es erheben sich z.B. auch rechtliche, ethische, und psychologische Fragen, etwa um die Zulässigkeit der genetischen Veränderung von Tieren, Tierschutz, informierte Zustimmung von PatientInnen und Angehörigen, Datenschutz, Privatsphäre, Menschrechte und Fragen der Identitätsbildung (Engels 2002; Schicktanz 2002; Sykes et al. 2003, und Beiträge in diesem Band). Diese Fragestellungen werden derzeit allerdings wenig diskutiert. Vielmehr scheint sich ein genereller Konsens durchgesetzt zu haben, der Xenotransplantation als grundsätzlich zulässiges Forschungsziel ansieht. Um diesen Konsens und das Fehlen einer Debatte zu verstehen, ist es notwendig, einen Blick auf die Diskussionen in den 1990er- und den frühen 2000er-Jahre zu werfen. Wichtige Etappen der damals stattfindenden „Normalisierung“ der Xenotransplantation stellten Stellungnahmen und Berichte der OECD (OECD 1999), der Pontifikalischen Akademie für das Leben (PAL 2001) und der Beratungsgremien und Agenturen der Europäischen Union (z.B. European Commission 2001) dar. Dieser Beitrag zeichnet den Entstehungsprozess dieser Stellungnahmen nach und stellt folgende Fragen: (1) Welche Entscheidung in Hinblick auf Xenotransplantation hat die betreffende Organisation gewählt? (2) Wie ist es dazu gekommen? Welche Verfahren haben zu diesen Entscheidungen geführt? (3) Wer war in welcher Form in die Entscheidungsfindung eingebunden? (4) Wie wurde die Diskussion gerahmt? Welche Themen wurden behandelt? (5) In welcher Form war die Öffentlichkeit in die Diskussion eingebunden? Für die drei Fallstudien zu EU, OECD und PAL wurden Literatur und Dokumente analysiert, vor allem jedoch zahlreiche Interviews mit beteiligten EntscheidungsträgerInnen und ExpertInnen geführt und diese themenanalytisch ausgewertet.