Das österreichische Modell der Formation von Kompetenzen im Vergleich

Dieser Beitrag versucht, die PIAAC-Erhebung für die explorative Bearbeitung von breiteren vergleichenden Fragestellungen zu nutzen: Wie hängen strukturelle Faktoren des Bildungswesens mit der Kompetenzhöhe und verteilung als Gesamtergebnis in der Bevölkerung zusammen? Können in den Kompetenzergebnis...

Ausführliche Beschreibung

Bibliographische Detailangaben
Link(s) zu Dokument(en):IHS Publikation
Hauptverfasser: Lassnigg, Lorenz, Vogtenhuber, Stefan
Format: Book Contribution PeerReviewed
Sprache:Englisch
Veröffentlicht: Statistik Austria 2014
Beschreibung
Zusammenfassung:Dieser Beitrag versucht, die PIAAC-Erhebung für die explorative Bearbeitung von breiteren vergleichenden Fragestellungen zu nutzen: Wie hängen strukturelle Faktoren des Bildungswesens mit der Kompetenzhöhe und verteilung als Gesamtergebnis in der Bevölkerung zusammen? Können in den Kompetenzergebnissen die Spuren vergangener Bildungsreformen gefunden werden? Diese Fragen sind für die österreichische Bildungspolitik von Bedeutung: Erstens, da Österreich eine sehr spezielle Bildungsstruktur aufweist, deren Auswirkungen auf die letztlich erzielten Kompetenzen von großem Interesse sind, und zweitens, da Österreich geradezu schon chronisch an bildungspolitischen Reformauseinandersetzungen leidet, die nicht zuletzt durch einen schwachen Bezug zu Evidenzen beeinträchtigt werden. Eine wichtige Botschaft dieses Beitrages besteht darin, dass sich durch die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Bildungsstrukturen und -reformen mit dem jeweiligen Kompetenzstand der Bevölkerung die langfristige und auch vielfach gebrochene Wirkung der Interventionen zeigt, die eventuell die Hysterie um die Reformdiskussionen etwas relativieren kann. Das umfangreiche Screening der PIAAC-Ergebnisse hat teilweise auch unerwartete und erstaunliche Befunde erbracht, die weitere Aufmerksamkeit verdienen: So ist beispielsweise kein klarer Zusammenhang zwischen der Tertiarisierung der Bildungssysteme und einer Steigerung des Kompetenz-niveaus festzustellen, und es ist auch – durchaus entgegen den Erwartungen – nicht nachweisbar, dass die formal und offensichtlich differenzierten und segmentierten Systeme eine größere Ungleichheit der Kompetenzen bewirken als die "Gesamtschulsysteme", da letztere ebenfalls oft einen hohen, aber versteckten Grad an Differenzierung aufweisen. Die Gegenüberstellung von Reformansätzen und Kompetenzergebnissen erbringt erstaunlich ungünstige Wirkungen der aktuell vorherrschenden und auch hierzulande mit großen Erwartungen verbundenen neoliberalen Politikansätze des "New Public Management" und der "Standards-Bewegung". 3.1 Einleitung Seit nunmehr zwei bis drei Jahrzehnten gibt es international eine starke Rhetorik der Dringlichkeit für Bildungsreformen, beginnend in den späten 1980er-Jahren v.a. seitens konservativer Reformerinnen und Reformer (z.B. Thatcher, Reagan) und dann aufgegriffen von allen politischen Richtungen spätestens um das Jahr 2000. In Österreich ist der Ruf nach größeren Reformen nie so ganz verstummt, auch hier ist gegen Ende der 1980er-Jahre eine neue Reformbewegung entstanden, die jedoch durch gegensätzliche inhaltliche Richtungen sowie durch einen Kontrast von starken Diskussionen und schwacher Implementation gekennzeichnet ist. Es verdichtet sich zunehmend ein Konsens über die Dringlichkeit von Verbesserungen, der jedoch in einem fundamentalen Kontrast zu einem ausgeprägten Dissens über zu treffende Maßnahmen steht, wobei die strategischen Grundrichtungen der geforderten Reformmaßnahmen einer bildungspolitischen Seite jeweils von der konkurrierenden Seite als die Wurzel der Probleme gesehen werden. In dieser Konstellation kann es offensichtlich zu keinen nachhaltigen Entwicklungs-maßnahmen kommen, da der vorhandene gemeinsame Nenner zu klein ist. Drei Konfliktlinien prägen die Aus-einandersetzungen: (1) strukturelle und organisatorische vs. pädagogische Maßnahmen, (2) wissenschaftliche und datenbasierte Evidenz vs. praktisch basierte traditionelle Lehrpersonenprofessionalität, (3) Selektion und Leistungsdifferenzierung vs. Heterogenität und gemeinsames Lernen. In dieser Konstellation entsteht ein Klima, in dem die Erwartungen überschießen und sich teilweise das Gefühl der Dringlichkeit und der negativen Folgen der Unterlassungen immer weiter hysterisiert, so dass sich die rhetorische Ebene der Auseinandersetzungen – ähnlich wie die Blasen auf den Aktienmärkten – schon von der realen Ebene abgekoppelt und verselbständigt hat, wobei die verschiedenen Akteurinnen und Akteure eifrig daran arbeiten, diese "Blasen" zu erweitern und am Leben zu halten. Vieles der bildungspolitischen Rhetorik ähnelt in diesem Sinne eher einer Geisterbeschwörung als einem rationalen Gebrauch des Verstands. Die vorliegende Studie kann möglicherweise hier relativierend wirken, indem sie versucht, den Spuren von Wirkungen vergangener Reformen im durch PIAAC erfassten Kompetenzbestand der verschiedenen beteiligten Länder nachzugehen. Dieses Unterfangen kann auf dieser allgemeinen bildungs-politischen Ebene zwei Resultate erbringen: erstens eine Relativierung der Erwartungen und zweitens eine Relati-vierung der Gegensätzlichkeiten.